Joseph Kaiphas war von 18 bis 36 n.Chr. Hoherpriester in Israel, ein Schwiegersohn des Ananus (Hannas), der von 6 bis 15 n.Chr. Hoherprieser war. In einem Jahrhundert, in dem 28 Hohepriester amtierten, schaffte er es, sich 18 Jahre im Amt zu halten. Er begegnet Jesus als oberster Richter seines Volkes und ist maßgeblich am Zustandekommen des Todesurteils beteiligt. Er hielt sich so lange an der Macht, wie auch Pilatus Statthalter von Kaiser Tiberius in Syrien war (26 bis 36 n.Chr.), hatte also offenbar gute Beziehungen zu Pilatus und verlor seine Position, als auch Pilatus sein Amt verlor.
In dieser Darstellung soll dem Aufeinandertreffen dieser beiden Männer, des pragmatischen Sadduzäers Kaiphas und des Messias Jesus Christus nachgegangen werden. Dabei soll der Blick aber auf uns, auf unseren Verantwortungsbereich gerichtet sein und die Frage gestellt werden, wo wir in der weiten Bandbreite zwischen den Jüngern Jesu und den Mitgliedern des Hohen Rates unseren Ort haben, wenn Gott ohne unsere Zustimmung handeln will.
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Über die Herkunft von Joseph Kaiphas wissen wir nichts. Die Bibel spricht von ihm nur als Kaiphas oder Kajaphas. Er heiratet eine Tochter des Hannas (Ananus), der von 26 bis 36 n.Chr. Hoherpriester war und offenbar auch später noch Einfluss behielt. Flavius Josephus beschreibt Hannas als einen glücklichen Menschen, weil alle seine Söhne Hohepriester waren.
Kaiphas hat die Volkszählung unter Quirinius miterlebt, die im Jahr 7 n.Chr. stattfand. Da das Jahr 7 n.Chr. eher nicht als Geburtsjahr Jesu in Betracht kommt, nehmen viele an, dass die Volkszählung ein längerer, möglicherweise Jahre dauernder Prozess war und unter Quirinius nur zum Abschluss kam und deshalb mit seinem Namen verbunden war. Er hat miterlebt, wie sein Schwiegervater von Valerius Gratus, dem vierten Statthalter von Judäa (15 bis 26 n.Chr.) abgesetzt wurde, kaum, dass Valerius Gratus die Statthalterschaft übernommen hatte. Er hat nach seinem Schwiegervater drei weitere Hohepriester erlebt, die innerhalb von drei Jahren von Valerius sehr schnell ernannt und sehr schnell wieder abgesetzt wurden.Er wusste also, wo die Macht lag.
Er hat die Tempelschändungen miterlebt, die Samaritanische Besucher in Jerusalem verübt haben und von der Flavius Josephus in den „Jüdischen Altertümern“ berichtet (Quelle ist eine englische Übersetzung).
Er hat sicherlich die Ereignisse miterlebt, in denen sich die Gewaltherrschaft des Pontius Pilatus andeutete und von der der Evangelist Lukas berichtet: Es kamen aber zur selben Zeit etliche herbei, die ihm von den Galiläern berichteten, deren Blut Pilatus mit ihren Opfern vermischt hatte. Und er antwortete und sprach zu ihnen: Meinet ihr, daß diese Galiläer mehr als alle andern Galiläer Sünder gewesen seien, weil sie solches erlitten haben? Nein, sage ich euch; sondern wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle auch so umkommen. Oder jene achtzehn, auf welche der Turm in Siloa fiel und sie erschlug, meinet ihr, daß sie schuldiger gewesen seien als alle andern Leute, die zu Jerusalem wohnen? Nein, sage ich euch; sondern wenn ihr nicht Buße tut, so werdet ihr alle auch so umkommen! (Lukas 13,1-5$$BStZ01$) Josephus berichtet später, dass Pilatus abberufen wird, weil seine Gewaltherrschaft für Rom zu einer Gefahr geworden war und sich die Beschwerden über Pilatus häuften (Jüdischen Altertümern).
Als Kaiphas sein Amt antrat, war er sich also bewusst, wie eng sein Spielraum war. In Israel gab es eine Endzeitstimmung. Dass das Kommen des Messias nahe bevorstand, der Israel von den Römern befreien würde, war allen klar. Aber dies war ein Volksglaube. Die Führungselite wusste, wie die Machtverhältnisse waren und handelte danach. Herodes der Große (etwa 73 bis 4 v.Chr.) hatte es vorgemacht. Er hatte durch geschicktes Taktieren und politische und wirtschaftliche Kompetenz ein großes Reich geschaffen, in dem Jerusalem die Hauptstadt war und für den jüdischen Glauben ein gewisser Freiraum existierte, aber unter römischer Oberhoheit. Jesus beschreibt das Vorgehen des Herodes in seinem Gleichnis von den anvertrauten Pfunden ( Lukas 19,11-28$$BStZ02$ ). Die Volkszählung des Quirinius wurde akzeptiert, obwohl Volkszählungen dem jüdischen Gesetz widersprachen ( 2.Mose 30,11-16$$BStZ03$ ) und zu Konroversen in der rechtgläubigen Bevölkerung führten, die bis zu Jesus schwappten, als er listig gefragt wird, wie man es mit der Steuer halten sollte ( Matthäus 22,15-22$$BStZ04$ ). Im Anschluss an diesen Text werden übrigens die Sadduzäer charakterisiert und man kann sicher annehmen, dass Kaiphas ihnen nahe stand.
Über den persönlichen Glauben des Kaiphas wissen wir nichts, aber aus der Tatsache, dass er unter dem grausamen Pontius Pilatus sich als Hoherpriester hatte halten können, kann man sehr wohl schließen, dass er sich pragmatisch mit den Machtverhältnissen arrangiert hat, wohl in doppelter Weise, indem er den Juden so weit entgegen kam, dass sie ihn noch akzeptierten, andererseits aber auch so, dass er Pilatus als verlässlicher Partner erschien.
Matthäus 26,3$$BStZBst1$: Da versammelten sich die Hohenpriester und die Schriftgelehrten und die Ältesten des Volkes im Hofe des obersten Priesters, der Kajaphas hieß.
Matthäus 26,57$$BStZBst2$: Die aber Jesus festgenommen hatten, führten ihn ab zu dem Hohenpriester Kajaphas, wo die Schriftgelehrten und die Ältesten versammelt waren.
Lukas 3,1-2$$BStZBst3$: Im fünfzehnten Jahre aber der Regierung des Kaisers Tiberius, als Pontius Pilatus Landpfleger von Judäa war und Herodes Vierfürst von Galiläa, sein Bruder Philippus aber Vierfürst der Landschaft Ituräa und Trachonitis und Lysanias Vierfürst von Abilene, unter den Hohenpriestern Hannas und Kajaphas, erging das Wort Gottes an Johannes, den Sohn des Zacharias, in der Wüste.
Johannes 11,49-53$$BStZBst4$: Einer aber von ihnen, Kajaphas, der in jenem Jahre Hoherpriester war, sprach zu ihnen: Ihr wisset nichts und bedenket nicht, daß es für uns besser ist, ein Mensch sterbe für das Volk, als daß das ganze Volk verderbe! Solches aber redete er nicht aus sich selbst; sondern weil er in jenem Jahre Hoherpriester war, weissagte er; denn Jesus sollte sterben für das Volk, und nicht für das Volk allein, sondern damit er auch die zerstreuten Kinder Gottes in Eins zusammenbrächte. Von jenem Tage an beratschlagten sie nun, ihn zu töten.
Johannes 18,12-14$$BStZBst5$: Die Rotte nun und ihr Oberst und die Diener der Juden griffen Jesus und banden ihn und führten ihn zuerst zu Hannas; denn er war der Schwiegervater des Kajaphas, welcher in jenem Jahre Hoherpriester war. Das war der Kajaphas, der den Juden geraten hatte, es sei besser, daß ein Mensch für das Volk sterbe.
Johannes 18,19-28$$BStZBst7$: Der Hohepriester nun fragte Jesus über seine Jünger und über seine Lehre. Jesus antwortete ihm: Ich habe öffentlich zu der Welt geredet; ich habe stets in der Synagoge und im Tempel gelehrt, wo alle Juden zusammenkommen, und im Verborgenen habe ich nichts geredet. Was fragst du mich? Frage die, welche gehört haben, was ich zu ihnen geredet habe! Siehe, diese wissen, was ich gesagt habe. Als er aber solches sagte, gab einer der Diener, die dabeistanden, Jesus einen Backenstreich und sprach: Antwortest du dem Hohenpriester also? Jesus erwiderte ihm: Habe ich unrecht geredet, so beweise, was daran unrecht war; habe ich aber recht geredet, was schlägst du mich? Da sandte ihn Hannas gebunden zum Hohenpriester Kajaphas. Simon Petrus aber stand da und wärmte sich. Sie sprachen zu ihm: Bist nicht auch du einer seiner Jünger? Er leugnete und sprach: Ich bin's nicht! Da sagte einer von den Knechten des Hohenpriesters, ein Verwandter dessen, dem Petrus das Ohr abgehauen hatte: Sah ich dich nicht im Garten bei ihm? Da leugnete Petrus abermals, und alsbald krähte der Hahn. Sie führten nun Jesus von Kajaphas in das Amthaus. Es war aber noch früh. Und sie selbst betraten das Amthaus nicht, damit sie nicht unrein würden, sondern das Passah essen könnten.
Apostelgeschichte 4,6$$BStZBst9$: auch Hannas, der Hohepriester, und Kajaphas und Johannes und Alexander und alle, die aus hohepriesterlichem Geschlechte waren.
Lukas berichtet sehr verhalten über das Verhör im Hohen Rat. wir erfahren nicht, wer fragt und wer handelt. Wir wissen nur, dass sie alle, einschließlich Kaiphas versammelt waren: Und als es Tag geworden, versammelten sich die Ältesten des Volkes, die Hohenpriester und Schriftgelehrten, und führten ihn ab vor ihren Hohen Rat; und sie sprachen: Bist du der Christus? Sage es uns! Er aber sprach zu ihnen: Wenn ich es euch sagte, so würdet ihr es nicht glauben; wenn ich aber auch fragte, so würdet ihr mir nicht antworten. Von nun an aber wird des Menschen Sohn sitzen zur Rechten der Kraft Gottes. Da sprachen sie alle: Bist du also der Sohn Gottes? Er aber sprach zu ihnen: Ihr saget, was ich bin! Da sprachen sie: Was bedürfen wir weiter Zeugnis? Denn wir selbst haben es aus seinem Munde gehört. (Lukas 22,66-71$$BStZ05$)
Ebenso verhält sich Markus. Nachdem er zunächst davon spricht, dass sich Xalle Hohenpriester versammelt haben, heißt es dann im Verhör, dass Xder Hohepriester spricht: Und sie führten Jesus ab zum Hohenpriester; und alle Hohenpriester und die Ältesten und die Schriftgelehrten kamen dort zusammen. Und Petrus folgte ihm von ferne bis hinein in den Hof des Hohenpriesters; und er saß bei den Dienern und wärmte sich am Feuer. Die Hohenpriester aber und der ganze Hohe Rat suchten Zeugnis wider Jesus, um ihn zum Tode zu bringen; und sie fanden keins. Denn obgleich viele falsches Zeugnis wider ihn ablegten, so stimmten die Zeugnisse doch nicht überein. Und es standen etliche auf, legten falsches Zeugnis wider ihn ab und sprachen: Wir haben ihn sagen hören: Ich will diesen mit Händen gemachten Tempel zerstören und in drei Tagen einen andern aufbauen, der nicht mit Händen gemacht ist. Aber auch so war ihr Zeugnis nicht übereinstimmend. Und der Hohepriester stand auf, trat in die Mitte, fragte Jesus und sprach: Antwortest du nichts auf das, was diese wider dich zeugen? Er aber schwieg und antwortete nichts. Wiederum fragte ihn der Hohepriester und sprach zu ihm: Bist du der Christus, der Sohn des Hochgelobten? Jesus aber sprach: Ich bin's; und ihr werdet des Menschen Sohn sitzen sehen zur Rechten der Macht und kommen mit den Wolken des Himmels! Da zerriß der Hohepriester seine Kleider und sagte: Was bedürfen wir weiter Zeugen? Ihr habt die Lästerung gehört. Was dünkt euch? Sie urteilten alle, er sei des Todes schuldig. Und etliche fingen an, ihn zu verspeien und sein Angesicht zu verhüllen und ihn mit Fäusten zu schlagen und zu ihm zu sagen: Weissage! Und die Diener nahmen ihn mit Backenstreichen in Empfang. (Markus 14,53-65$$BStZ06$) Es ist wohl nicht falsch, daraus auf Kaiphas zu schließen. Es ist bezeichnend, dass die frühen Evangelien mit Namen der beteiligten religiösen Führer vorsichtig sind, während Johannes, der sein Evangelium vermutlich geschrieben hat, als diese Herren alle schon tot waren, da keine Scheu hat.
Matthäus geht in seinem Bericht ähnlich vor, er berichtet zwar, dass das Verhör im Haus des Hohenpriesters Kaiphas stattfand, berichtet über das Verhör aber ohne Namensnennung: Aber die Hohenpriester und die Ältesten und der ganze Rat suchten falsches Zeugnis wider Jesus, um ihn zum Tode zu bringen. Aber sie fanden keins, obgleich viele falsche Zeugen herzukamen. Zuletzt aber kamen zwei und sprachen: Dieser hat gesagt: Ich kann den Tempel Gottes zerstören und ihn in drei Tagen aufbauen. Und der Hohepriester stand auf und sprach zu ihm: Antwortest du nichts auf das, was diese wider dich zeugen? Jesus aber schwieg. Und der Hohepriester sprach zu ihm: Ich beschwöre dich bei dem lebendigen Gott, daß du uns sagest, ob du der Christus, der Sohn Gottes bist! Jesus spricht zu ihm: Du hast es gesagt! Überdies sage ich euch: Von jetzt an werdet ihr des Menschen Sohn sitzen sehen zur Rechten der Kraft und kommen auf den Wolken des Himmels! Da zerriß der Hohepriester seine Kleider und sprach: Er hat gelästert! Was bedürfen wir weiter Zeugen? Siehe, nun habt ihr seine Lästerung gehört. Was dünkt euch? Sie antworteten und sprachen: Er ist des Todes schuldig! (Matthäus 26,59-66$$BStZ07$)
Aber bereits vor dem Prozess greift Kaiphas persönlich in das Geschehen ein, als die Situation nach seiner Meinung zu eskalieren droht:
Jesus wird zu dem kranken Lazarus gerufen, ihn zu heilen. Er lässt sich Zeit und kommt endlich nach Bethanien, allerdings ist Lazarus schon tot. Jesus will hier ein letztes Zeugnis geben, an dem die Menschen erkennen können, dass er der Messias ist. Er hat schon früher über den Unglauben geklagt, selbst bei seinen Jüngern. In den Abschiedsreden sagt er zu Philippus: Glaubet mir, daß ich im Vater bin und der Vater in mir ist; wo nicht, so glaubet mir doch um der Werke willen! (Johannes 14,11$$BStZ08$) Die Begebenheit mit Lazarus ist ein letztes Zeugnis vor der Welt: Jesus spricht: Hebet den Stein weg! Martha, die Schwester des Verstorbenen, spricht zu ihm: Herr, er riecht schon, denn er ist schon vier Tage hier. Jesus spricht zu ihr: Habe ich dir nicht gesagt, wenn du glaubst, werdest du die Herrlichkeit Gottes sehen? Da hoben sie den Stein weg. Jesus aber hob die Augen empor und sprach: Vater, ich danke dir, daß du mich erhört hast. Doch ich weiß, daß du mich allezeit erhörst; aber um des umstehenden Volkes willen habe ich es gesagt, damit sie glauben, daß du mich gesandt hast. Und als er solches gesagt, rief er mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus! Und der Verstorbene kam heraus, an Händen und Füßen mit Grabtüchern umwickelt und sein Angesicht mit einem Schweißtuch umhüllt. Jesus spricht zu ihnen: Bindet ihn los und laßt ihn gehen! Viele nun von den Juden, die zu Maria gekommen waren und sahen, was Jesus getan hatte, glaubten an ihn. Etliche von ihnen aber gingen zu den Pharisäern und sagten ihnen, was Jesus getan hatte. (Johannes 11,39-46$$BStZBst4$)
Es geschieht das Unglaubliche. Der Mann, von dem seine Schwester Martha sagt: „Herr, er riecht schon, denn er ist schon vier Tage hier.“ diser Mann steht lebend vor ihnen. Jetzt müsste es allen klar sein: Hier spricht ein Mann, den Gott gesandt hat. Hier ist Gott Vater selbst am Werk. Hier hat das Allmachtswort gesprochen, das sich bereits durch Jesaja offenbarte, als er sprach: wem wollt ihr mich vergleichen, dem ich gleich sein soll? spricht der Heilige. Hebet eure Augen zur Höhe und seht: Wer hat diese erschaffen? Er, der ihr Heer nach der Zahl herausführt, der sie alle mit Namen ruft. So groß ist sein Vermögen und so stark ist er, daß es nicht an einem fehlen kann. Warum sprichst du denn, Jakob, und sagst du, Israel: Mein Weg ist vor dem HERRN verborgen, und mein Recht entgeht meinem Gott? Weißt du denn nicht, hast du denn nicht gehört? Der ewige Gott, der HERR, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt; sein Verstand ist unerschöpflich! (Jesaja 40,25-28$$BStZ09$) und über den Paulus spricht: wie geschrieben steht: «Ich habe dich zum Vater vieler Völker gesetzt» vor dem Gott, dem er glaubte, welcher die Toten lebendig macht und dem ruft, was nicht ist, als wäre es da. (Römer 4,17$$BStZ10$) Und so ist es verständlich, was dann geschieht: Viele nun von den Juden, die zu Maria gekommen waren und sahen, was Jesus getan hatte, glaubten an ihn.
Aber in solchen Situationen ist der Pragmatiker gefragt, zumindestens empfindet er es so. Denn als das Wunder in Bethanien geschah, da gab es auch die andere Reaktion: Etliche von ihnen aber gingen zu den Pharisäern und sagten ihnen, was Jesus getan hatte. Dies allein ist ja nicht falsch. Diese Menschen suchten Wegweisung von ihren geistlichen Führern. Wir lesen dann, worin die Wegweisung bestand: Da versammelten die Hohenpriester und Pharisäer den Hohen Rat und sprachen: Was wollen wir machen? Denn dieser Mensch tut viele Zeichen! Lassen wir ihn so fortfahren, so werden alle an ihn glauben; und dann kommen die Römer und nehmen uns Land und Leute weg. Einer aber von ihnen, Kajaphas, der in jenem Jahre Hoherpriester war, sprach zu ihnen: Ihr wisset nichts und bedenket nicht, daß es für uns besser ist, ein Mensch sterbe für das Volk, als daß das ganze Volk verderbe! Solches aber redete er nicht aus sich selbst; sondern weil er in jenem Jahre Hoherpriester war, weissagte er; denn Jesus sollte sterben für das Volk, und nicht für das Volk allein, sondern damit er auch die zerstreuten Kinder Gottes in Eins zusammenbrächte. (Johannes 11,47-52$$BStZBst4$)
Die Wunder Jesu sind eine Gefahr, nicht nur für Kaiphas. Die Wunder Jesu machen offenbar, dass der Glaube des Kaiphas hohl ist, dass er ganz andere Prioritäten hat, dass Gott für ihn nur eine untergeordnete Rolle spielt: „Lassen wir ihn so fortfahren, so werden alle an ihn glauben; und dann kommen die Römer und nehmen uns Land und Leute weg.“ Da offenbart sich die oberste Priorität dieser religiösen Führer: „... und dann kommen die Römer und nehmen uns Land und Leute weg.“
Machterhalt ist nicht nur ein Problem des Kaiphas. Es ist zunächst einmal eine natürliche Reaktion eines verantwortungsvollen Leiters, seiner Funktion als Leiter gerecht zu werden. Also tat Kaiphas nur, was man als verantwortungsvoller Leiter tun muss? Im nächsten Satz entlarvt sich Kaiphas: „Ihr wisset nichts und bedenket nicht, daß es für uns besser ist, ein Mensch sterbe ...“ Darum geht es ihm. Aus pragmatischen Gründen, aus politischer Rücksichtnahme auf die Römer, muss dieser mann sterben. Alles andere zählt nicht. Und außerdem drängt das Passahfest. Diese Herren mussten sich auf dem Passahfest zeigen und Segen spenden. Sie hatten Eile.
Wir hören nicht, dass es in dieser Veranstaltung eine Frage nach dem Willen Gottes oder eine Bewertung der Wunder Jesu gab, schließlich gab es einige unter ihnen, die Jesu Taten auf den Beelzebul zurückführten: Als aber die Pharisäer es hörten, sprachen sie: Dieser treibt die Dämonen nicht anders aus als durch Beelzebul, den Obersten der Dämonen! (Matthäus 12,24$$BStZ11$) Mindestens einige aus dem Hohen Rat hatten Jesu Wunder miterlebt.
Jetzt ist es sehr einfach, diese Geschichte zu einem jüdischen Problem zu machen: Die Heilandsmörder sind am Werk. Hier stellt die Passionszeit eine ganz andere Frage an uns: Wie ist die Gruppendynamik in dem Umfeld, in dem ich agiere? Kann der Geist Gottes sprechen, ohne dass ich gleich mit meinen Lieblingsideen dazwischenfahre und ihn belehre? Als ich am Ende meiner Zeit als Oberassistent an der Universität über meine Zukunft nachdachte, hatte ich die Alternative, in die Industrie zu gehen oder eine Hochschulkarriere zu suchen. Eines abends, als ich die Hochschule verließ, um in den Feierabend zu gehen, war es mir, als wenn der HERR zu mir spricht: „Du wirst in die Industrie gehen, und du wirst ein Professor werden.“ Mein spontaner Gedanke war: „HERR, das verstehst Du nicht, entweder das eine oder das andere.“ Zwar war mir sofort klar, dass man so mit dem HERRN nicht spricht, aber so sind wir: Sagt der HERR etwas, das nicht in unsere Denkschemata passt, dann greifen wir belehrend ein. Ich bin dann wohlgemut in die Industrie gegangen und habe gespannt gewartet, ob der HERR sein Wort wahr macht. Er hat es wahr gemacht, eine Universität, an der ich verschiedene Vorlesungen gehalten habe, hat mich zum Professor ernannt. Das eine gab der HERR mir, um meinen Lebensunterhalt und noch vieles mehr zu verdienen, das andere in seiner großen Liebe, weil er wohl wusste, dass ich auch gerne an der Hochschule geblieben wäre.
Warum diese Geschichte? Selbst ein frommer Mann hat Schwierigkeiten, Gottes Wegweisung anzunehmen, wenn sie außerhalb der ausgetretenen Pfade unserer Denkmuster ist. Das geht so weit, dass heute einzelne Theologen die Geschichte von der Auferweckung des Lazarus nicht glauben, weil man ja weiß, dass Tote nicht auferstehen. Ich weiß das und deshalb muss es auch so sein. Daran hat sich dann auch der HERR zu halten(?).
Der HERR hält sich nicht daran. Ein Gott, der in die Grenzen meines oder überhaupt eines menschliche Geistes eingesperrt werden kann, der diese Grenzen nicht sprengt, was ist er mehr als ein Super-Mensch. Schon Jesaja hat seine Zuhörer zur Zurückhaltung ermahnt, indem er das Bild vom Ton und vom Töpfer gebraucht: O ihr verkehrten Leute! Soll der Töpfer für Ton geachtet werden oder das Werk von seinem Meister sagen: «Er hat mich nicht gemacht?» Oder soll das Geschöpf von seinem Schöpfer sagen: «Er hat keinen Verstand?» (Jesaja 29,16$$BStZ12$)
Nun wird weder ein Kaiphas noch irgend ein religiöser Führer sagen: „Gott hat keinen Verstand.“ Aber wir handeln danach, wenn wir das Handeln Gottes in die Grenzen unseres Verstandes einzwängen. Und es wird um so schlimmer, auch für uns persönlich, wenn wir das, was Gott zu unserer Befreiung vorhat, gering achten und uns stattdessen auf uns selbst verlassen. 40 Jahre später werden die Kinder dieser Mitglieder des Hohen Rates weinend vor den Aufständischen in Jerusalem stehen und sie bitten, Jerusalem den Römern zu übergeben, damit es nicht zerstört wird. Dann wird es für sie zu spät sein. Dann werden die Aufständigen nicht auf sie hören und das Wort Jesu wird wahr werden: Und Jesus sprach zu ihm: Siehst du diese großen Bauten? Es wird kein Stein auf dem andern gelassen werden, der nicht zerbrochen wird! (Markus 13,2$$BStZ13$) Josephus berichtet eindrücklich, wie schrecklich die Zeit der Belagerung und insbesondere die Eroberung Jerusalems für die Bevölkerung war.
Aber trotzdem ließ Gott auch diesen Hohen Rat nicht ohne eine Botschaft: Ihr wisset nichts und bedenket nicht, daß es für uns besser ist, ein Mensch sterbe für das Volk, als daß das ganze Volk verderbe! (Johannes 11,50$$BStZBst4$) Es ist klar, was er damit meinte. „Habt euch nicht so, ihr Bedenkenträger, das Leben eines Menschen spielt keine Rolle, wenn es um den Fortbestand der Nation geht.” Diese Menschen, die pragmatisch an eine Sache herangehen, haben schon etwas verführerisches. Jedes Gericht der Welt würde so verfahren und zugeben, dass ein niedrigeres Rechtsgut geopfert werden darf, wenn ein höheres Rechtsgut gefährdet ist. Aber er hat nur scheinbar Recht, denn er hat mit menschlichen Augen auf einen Vorgang geschaut, in dem Gott der Handelnde ist und in dem der menschliche Horizont einfach zu klein ist. Und so kommentiert Johannes die Worte des Kaiphas aus der Sicht Gottes: Solches aber redete er nicht aus sich selbst; sondern weil er in jenem Jahre Hoherpriester war, weissagte er; denn Jesus sollte sterben für das Volk, und nicht für das Volk allein, sondern damit er auch die zerstreuten Kinder Gottes in Eins zusammenbrächte. (Johannes 11,51-52$$BStZBst4$)
Aber der Hohe Rat ist weit davon entfernt, nach Gottes Plänen zu fragen. Von jenem Tage an beratschlagten sie nun, ihn zu töten. (Johannes 11,53$$BStZBst4$) Sie gehen sogar soweit, dass sie auch Lazarus töten wollten: Da beschlossen die Hohenpriester, auch Lazarus zu töten, denn seinetwegen gingen viele Juden hin und glaubten an Jesus. (Johannes 12,10-11$$BStZ14$) Waren sie bisher die Pragmatiker, so gehen sie jetzt einen entscheidenden Schritt weiter. Sie wollen diesen kraftvollen Beweis, dass Jesus der verheißene Messias ist, vernichten. Hier finden wir auch den Grund, warum die frühen Evangelien die Auferweckung des Lazarus und die Einzelheiten, die ihnen aus dem Hohen Rat bekannt waren, vermutlich über Nikodemus, der Mitglied des Hohen Rates war, nicht berichteten. Sie mussten um das Leben der Beteiligten fürchten. Als der alte Apostel Johannes, vermutlich als letzter überlebender Augenzeuge, sein Evangelium schreibt, waren diese Mitglieder des Hohen Rates alle bereits verstorben und wohl auch Lazarus. Eine Gefährdung bestand also nicht mehr und er konnte berichten und Namen nennen.
Wenn es heißt: Da beschlossen die Hohenpriester, auch Lazarus zu töten, (Johannes 12,10$$BStZ14$), dann wird nicht gesagt, dass es irgendwelche untergeordneten Offiziere waren, es waren die Hohenpriester, also insbesondere Kaiphas und Hannas, die diesen Beschluss fassten. Und so sind die, die als Pragmatiker der Macht gestartet sind, plötzlich zu ganz gemeinen Kriminellen geworden. Und dieser Beschluss ist ein Beweis ihrer Ohnmacht. Denn wenn sie wirklich etwas in der Hand gehabt hätten, dann hätten sie diesen Beschluss nicht zu fassen brauchen. Sie hätten den Betrug nur aufdecken müssen. Sie waren sich auch bewusst, dass sie mit einem förmlichen Todesurteil gegen Lazarus bei Pilatus nicht durchgekommen wären. Im Gegenteil, es ist ihnen ja schon schwer genug gefallen, das Todesurteil gegen Jesus durchzusetzen. Also ging es bei Lazarus um einen ganz gemeinen Mord.
So erleben wir an der Person des Kaiphas, wie die Begegnung mit dem lebendigen Gott, die den Jüngern den Weg zum Leben eröffnete, Kaiphas zum Fallstrick wurde. Er wollte die Fakten einfach nicht sehen. Damit befindet er sich in guter Gesellschaft, denn auch heute wollen viele Menschen nicht sehen, das Gott, der Vater, in Jesus den Christus gesandt hat, der uns das Leben bringen soll. Kaiphas ist als erfolgreicher Hoherpriester gestorben. Er hat vermutlich keinen Mangel gelitten. Er wurde abgelöst, als sein Freund Pilatus abgelöst wurde, wie wir oben schon dargestellt haben.
Haben wir damit mit Kaiphas einen schwarzen Peter gefunden, einen Bösen, der unser Leben um so heller erscheinen lässt. Weit gefehlt. Wir haben mit Kaiphas einen Menschen gefunden, der ein an der Realität seiner Zeit orientierter, pragmatischer Machtpolitiker war und der seine Position zu verteidigen wusste. Aber wir haben auch einen Menschen gefunden, an dem der Atem Gottes vorübergegangen ist und er hat es nicht bemerkt. Im Gegenteil, er hat es bekämpft.
So ist Kaiphas eigentlich ein sehr armseliger Mensch, der so verblendet war, dass er die Begegnung mit dem lebendigen Gott verpasst hat. Und er ist in seinem Versuch, das Handeln des lebendigen Gottes zu unterbinden, zu einem Kriminellen geworden, zu einem, der zu Mord aufruft. Er begegnet dem Sohn Gottes und es wird ihm zum Fallstrick, weil er sich durch diesen Jesus aus Nazareth plötzlich in seiner Welt, in seiner Weltsicht, gestört und herausgefordert fühlt. Er will festhalten, was er hat und zerstört es gerade dadurch, wie die Ereignisse 70 n.Chr. zeigen, als Jerusalem zerstört wird.
Kaiphas ist Geschichte, aber es gibt viele religiöse Führer in der Welt, nicht nur Hohepriester und Päpste oder Präsidenten irgendwelcher Denominationen, sondern auch Gemeindeleiter und Älteste von Ortsgemeinden. Sie alle bewahren aus der Vergangenheit Werte, die einmal wichtig waren und des bewahrens wert sind. Kaiphas zeigt uns, dass wir mit dem Bewahren sehr vorsichtig sein müssen, wenn Gott ein Neues Pflügen will. Was geschieht in meinem Verantwortungsbereich, wenn ich erlebe, wie jemand ohne meine Zustimmung Tote auferweckt, oder vielleicht „nur”, wenn jemand Kranke heilt. Kaiphas zeigt uns auch, dass Gott sich nicht aufhalten lässt. Und vielleicht geht es uns dann auch so, dass Gott uns ein Wort in den Mund legt, über das wir einmal aus der Sicht Gottes nachdenken sollten, so wie es Kaiphas geschehen ist: Ihr wisset nichts und bedenket nicht, daß es für uns besser ist, ein Mensch sterbe für das Volk, als daß das ganze Volk verderbe! (Johannes 11,50$$BStZBst4$)